Interview mit Dr. Frank Martin, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit
Dr. Frank Martin, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit. Foto: Bundesagentur für Arbeit
SZ: Herr Dr. Martin, laut einer Studie hatte 2010 nur die Hälfte der 55- bis 59-Jährigen einen sozialversicherungspflichtigen Job, unter den 60- bis 64-Jährigen war es nur jeder Vierte. Erschrecken Sie diese Zahlen?
Martin: Die Zahlen müssten mich erschrecken, wenn ich nicht guter Dinge wäre, dass sich hieran etwas ändern wird. Die Erwerbsneigung und auch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist zwischen 2005 und 2009 deutlich angestiegen. Aber da besteht noch viel Potenzial, was wir heben müssen, weil wir es uns wirtschaftlich gar nicht leisten können, auf die Arbeitskraft und das Wissen Älterer zu verzichten.
SZ: Wie wollen Sie dieses Potenzial heben?
Martin: Zum einen versuchen wir weiterhin, Unternehmen von den Vorteilen zu überzeugen auch in vorübergehenden Krisen an ihren eingearbeiteten und erfahrenen Mitarbeitern festzuhalten. 2008/9 hat das sehr gut funktioniert. Die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden, war damals für Ältere deutlich geringer als für Jüngere. Sobald sich jemand arbeitssuchend oder arbeitslos meldet, können wir mit personellen und finanziellen Mitteln, auch aus Sonderprogrammen explizit für den Kreis der über 50-Jährigen aktiv werden.
SZ: Also Weiterbildung, Zusatzqualifikationen…
Martin: Genau. Wobei ich immer davor warne, in der Hoffnung zu leben, man wird arbeitslos und bekommt direkt eine Umschulung in einen anderen Beruf bezahlt. Das ist heute die Ausnahme. . Das hat nicht nur finanzielle Gründe, auch die Wirksamkeit einer Maßnahme wird geprüft. Wir stellten nämlich oft fest, dass Maßnahmen abgebrochen wurden oder doch nicht zur Einstellung führten, weil Arbeitslosigkeit nicht nur an der Qualifikation liegt, sondern auch an der Person. Aber wir schulen Menschen, die lange bei einem Arbeitgeber waren und vielleicht aus der Übung sind, wie sie sich bei einem neuen Arbeitgeber vorstellen, und wir schulen auch inhaltlich.
SZ: Ist der Anteil Älterer in sozialversicherungspflichtigen Jobs in Hessen ähnlich gering wie es die Studie für die gesamte Bundesrepublik aussagt?
Martin: Bei den 60- bis unter 65-Jährigen mit sozialversicherungspflichtigen Jobs haben wir von 2005 bis 2009 einen Anstieg von 16,5 auf 23,9 Prozent. Da könnte man erschrecken, aber die Vergleichsgröße, also alle 15- bis 65-Jährigen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, liegt auch nur bei gut 50 Prozent.
SZ: Was machen denn die übrigen 75 Prozent, die älter als 60, aber noch keine Rentner sind?
Martin: Wir haben sicher heute noch die Ausläufer von dem, was unter Frühverrentungsprogramm lief, zu spüren. Das wird zunehmend weniger. Man muss auch nicht denken, dass die übrigen Arbeitnehmer zweitklassige Jobs haben, unter die nicht sozialversicherungspflichtigen Jobs fallen auch Selbstständige und Beamte. Aber wir haben bei Älteren auch einen Anstieg von Mini- und Midijobs und überproportional einen Anstieg von Teilzeitbeschäftigung, was kritisch zu beobachten ist, wenn die Leute lieber sozialversicherungspflichtig beschäftigt und Vollzeit arbeiten möchten.
SZ: Gibt es hier in der Region spezielle Programme, wie zum Beispiel das Bundesprogramm Perspektive 50 plus, damit Firmen ältere Mitarbeiter im Betrieb halten oder neu einstellen?
Martin: Es gibt ganz viele konkrete Programme, zum Teil auch jeweils für die Regionen. An der Perspektive 50 plus beteiligen sich die Jobcenter in Hessen, es läuft gut. Fast noch mehr Zeichen setzen können wir mit dem Programm WeGebAU, in dem wir kleinen und mittelständischen Betrieben Fortbildungsmaßnahmen für bestimmte Personengruppen ermöglichen. Allein für Hessen haben wir hierfür Mittel im zweistelligen Millionenbereich. Das kann aber nur ein Start sein für das Thema Weiterbildung. Das ist eine Kernaufgabe des Arbeitgebers.
SZ: Kennen Sie Branchen, in denen überproportional viele Ältere arbeiten?
Martin: Wir haben diese Zahlen nicht. Aber Sie können umgekehrt fragen, ob es Branchen gibt, für die sich junge Leute nicht so begeistern können. Und das sind Branchen, in denen tendenziell der Nachwuchs fehlt. Der Pflegebereich zum Beispiel.
SZ: Wie sieht ein altersgerechter Arbeitsplatz aus?
Martin: Aus meiner Sicht umfassen altersgerechte Arbeitsplätze die stete Möglichkeit, sich weiterzubilden, auf dem aktuellsten Stand des Berufes und der Branche zu bleiben.
Interview: Susanne Schmidt-Lüer
Dr. Frank Martin, 37, ist seit 2010 Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit.