Aktuelle Ausgabe zum Lesen  eye   zum Hören  ear
Schriftgröße  

Ältere Menschen haben häufig Hemmschwellen, wenn es um technische Neuerungen geht – Verstehe ich das noch? Kann ich das bedienen? – und schrecken vor technischen Hilfsmitteln zurück. Wenn es um digitale Technik geht oder sogar um künstliche Intelligenz (KI), nehmen die Ängste zu. Grund genug also, einmal genauer hinzuschauen, wo die neue Technik im Dienst älterer Menschen stehen kann.

„Smart“(3), aber nicht „intelligent“

Natürlich kennen viele schon die Vorteile, die Sensoren, Bewegungsmelder oder Notrufsysteme zur Unterstützung und Sicherheit älterer Menschen in ihren eigenen vier Wänden haben. Über so einen Sensor funktioniert beispielsweise eine Sensortrittmatte oder auch Alarmtrittmatte. Diese Matte legt man vor das Bett oder unter die Fußmatte an Wohnungs- oder Terrassentür. Gedacht ist diese Matte vor allem zur Überwachung von Menschen mit Demenz. Der Sensor in der Matte gibt ein Signal, sodass pflegende Angehörige wissen, wenn die Person Bett oder Haus unbemerkt verlassen möchte. Ähnliche Systeme, die über Sensoren funktionieren, gibt es auch für den Küchenherd oder Heizkörper. So ein System ist „smart“ (deutsch: klug, schlau), es funktioniert über Funk oder digitale Technik, denn der Sensor schickt seine Nachricht auf Empfangsgeräte, die der Pflegende hat.

„Intelligent“: Billie hilft, den Alltag zu meistern

KI (5) bedeutet jedoch, dass die Maschine lernt. Das System nimmt Informationen auf, zum Beispiel wie der Nutzer sich verhält, und nutzt diese Information dann, um sich weiterzuentwickeln. Weiterentwickeln heißt, das System trifft Entscheidungen, ähnlich wie Menschen es tun. Zu diesen Entscheidungen kommt es aufgrund der ursprünglichen Programmierung und der Informationen, die dann durch die Nutzung dazu kommen.

Ein gutes Beispiel dafür ist der virtuelle Sprachassistent Billie (2). Er wurde von Forschern am Center for Cognitive Interaction Technology (CITEC) der Universität Bielefeld entwickelt, um Menschen im Alltag eine Struktur zu geben. Das heißt, der Assistent hilft, Termine zu planen und einzuhalten. „Der virtuelle Avatar (1) Billie, eine Kunstfigur, soll eine neue Art von Assistent sein für Menschen mit kognitivem Unterstützungsbedarf, also Menschen die ihren Alltag nicht mehr alleine bestreiten können, weil sie zum Beispiel die Tagesstruktur verlieren“, sagt Professor Dr. Stefan Kopp, Leiter der Forschungsgruppe kognitive Systeme und soziale Interaktion. Billie wird auf einem Bildschirm dargestellt und ist einfach per Spracheingabe zu bedienen. Kameras und Sensoren ergänzen das System, damit die Reaktionen des Nutzers erfasst und analysiert werden. Billie kann sich direkt mit den Nutzerinnen und Nutzern „unterhalten“.

Das funktioniert zum Beispiel so: Billie, in diesem Test auf dem Bildschirm als junge Frau animiert: „Hallo, Anke. Hast du kurz Zeit?“ Anke, eine Testnutzerin: „Ja. Hallo, Billie.“ Billie: „Dann gehen wir jetzt den Rest dieser Woche durch.“ Anke: „Ja.“ Billie: „Gut. Am Mittwoch hast du um 9 Uhr Frühstück. Um 16 Uhr hast du Geldholen.“ Anke: „Das stimmt.“ Durch Zuruf kann man dann neue Termine hinzufügen. Anke: „Warte mal, Billie, ich habe da noch einen Termin.“ Dann wird dieser Termin über die Spracheingabe hinzugefügt. Die Bedienung erklärt sich dabei von selbst.

„Billie ist dezidiert geplant als der persönliche Assistent“, sagt Stefan Kopp. „Er kennt die Präferenzen des Nutzers und lernt stetig dazu.“ Billie merkt sich also, was „sein Mensch“ gern unternimmt, und berücksichtigt das durch Vorschläge. Er soll auch dazu beitragen, dass der Nutzer sich nicht sozial isoliert. Darum unterstützt der Assistent die Kontaktaufnahme zu anderen Menschen per Videotelefonie oder erinnert daran, sich bei Freunden und Bekannten zu melden.

Die Daten, die von dem System, also den Kameras, Sensoren und dem Mikrophon des Sprachassistenten, erhoben werden, bleiben dabei in einem geschützten Bereich. „Die gewonnenen Informationen stehen zwar den betreuenden Angehörigen oder Pflegern  als Rückmeldung zur Verfügung. Sie bleiben aber innerhalb der Einrichtung oder des Zuhauses. Das System Billie ist nicht mit dem Internet verbunden“, erklärt Stefan Kopp.

Menschliches Verhalten programmieren

Billie entstand im Rahmen des Projekts Kompass der Universität Bielefeld und der Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Das Projekt wurde bis 2018 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Lange und aufwendige Forschungen waren nötig, damit Billie funktioniert. Zum Beispiel soll der Assistent natürlich wirken. Also filmten die Forscher Menschen, die miteinander interagieren, um Rückschlüsse auf Mimik und Gestik zu ziehen, die Menschen haben, wenn sie sich unterhalten. Schließlich wählten die Forscher das Verhaltensmuster einer Person aus, das dann in den Assistenten eingebracht wurde. Die nächste Herausforderung war die Spracherkennung. Denn Billie soll nicht nur „ja“ verstehen, sondern auch ein bejahendes „hm-m“. Und das muss er auch von einem verneinenden „mh-mh“ unterscheiden. Versteht Billie etwas nicht, wird die Frage wiederholt oder einfacher formuliert. Ein weiterer Schritt war die emotionale Sensibilität. Billie soll auch erkennen, wenn „sein Mensch“ müde oder verwirrt ist. Im Notfall soll er auch einen Notruf auslösen. Millionen von programmierten Datensätzen sollen das möglich machen.

In Nutzerstudien in Wohnungen der Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel wurde Billie getestet und stetig an die Bedürfnisse der Bewohner angepasst. Die Nutzer beschreiben Billie als „freundlichen Genossen“, der „sehr hilft“, oder als „entzückenden jungen Mann“, von dem „ganz viele Menschen profitieren können“. Die Bodelschwinghschen Einrichtungen waren dabei nicht nur Testnutzer, sondern Anwendungspartner. „Billie war bisher ein Forschungsprojekt. Der Förderungszeitraum ist jetzt abgelaufen und wir suchen ein Anschlussprojekt oder einen Investor, der das System mit uns weiterentwickelt. Ziel ist, Billie für Einrichtungen mit Betreuungskonzept zugänglich zu machen“, so Stefan Kopp. Ein weiterer Schritt ist bereits getan: Im nordrheinwestfälischen Siegen ist der Neubau eines Hauses für Menschen mit Behinderung geplant. In diesen Neubau wird Billie integriert werden. Die Umsetzung erfolgt innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre.

Claudia Sabic

Glossar

  1. Avatar
    Ein Avatar ist eine künstliche Person oder eine Grafikfigur im Internet. Sie kann zum Beispiel auch einem Nutzer zugeordnet sein, wie bei einem Computerspiel. Das Wort stammt ursprünglich aus dem Sanskrit: Avatāra bedeutet „Abstieg“ und bezieht sich auf das Herabsteigen einer Gottheit in irdische Sphäre.
  2. Virtuell
    Was virtuell ist, existiert nicht wirklich, erscheint aber so.
  3. Smarte Technik
    Smart nennt man eine Technik, wenn verschiedene Dinge über das Internet miteinander vernetzt sind. Also die Pulsuhr, die die Pulsschläge misst und sie an das Smartphone weitergibt, wo eine App die Daten analysiert und dann den Nutzer über seinen Körper informiert. „Smart things“, das Internet der Dinge, bezeichnet die Gesamtheit dieser Technik und Produkte.
  4. Smarthome
    Spricht man von „Smarthome“, meint man die Vernetzung von Haushalts-, Sicherheits- und Multimediageräten innerhalb eines Gebäudes. Diese Technik automatisiert den Alltag, lässt also zum Beispiel die Rollläden zu einer bestimmten Zeit runter, schaltet das Licht an, bevor man heimkommt, oder überprüft, ob der Kühlschrank gut gefüllt ist. Über das Internet kann der Nutzer diese Informationen jederzeit abrufen, also zum Beispiel auf dem Heimweg schnell noch das Fehlende einkaufen. Es gibt Eingabegeräte, wie Smartphones oder Tablets, über die die Steuerung läuft, oder auch Sprachassistenten. Ferner vernetzt sind Sensoren, die die Raumtemperatur messen oder registrieren, ob Türen oder Fenster geöffnet sind. Eine zentrale Steuerungseinheit, Gateway, verarbeitet die Daten der Sensoren und sendet dann die Befehle an Heizkörper und andere Geräte. Die Vernetzung all dieser Geräte funktioniert über Kabel oder Funk.
  5. Künstliche Intelligenz
    Dieses Teilgebiet der Informatik befasst sich damit, wie man intelligentes Verhalten automatisieren kann und wie Maschinen lernen. Menschen können sich entscheiden, wie sie ein Problem lösen. Diese Entscheidungsstrukturen sollen bei künstlicher Intelligenz nachgebildet werden, sodass ein Computer oder ein computergesteuerter Roboter Probleme eigenständig lösen kann. Fachleute sprechen konkreter von „Machine learning“, also maschinellem Lernen. Beispiele, die viele aus ihrem Alltag schon kennen, sind die Sprachassistenten Siri oder Alexa. Ein Beispiel aus dem Pflege- und Betreuungszusammenhang ist „Billie“. Der Sprachassistent für Termine im Alltag entscheidet je nach Antwort des Nutzers, wie ein Tagesplan aussieht, er erkennt die Vorlieben des Nutzers und macht daraufhin wiederum Vorschläge.

sab