Wissen über andere Religionen und Kulturen genügt nicht
Alle Muslime essen kein Schweinefleisch; afghanische Frauen bedecken ihre Haare; Deutsche sind beim Essen nicht empfindlich – Urteile über Menschen, die verschiedenen Kulturkreise angehören. Wenn nicht Vorurteile, so doch unzulässige Verallgemeinerungen. Denn nicht jeder Muslim sieht die Speisevorschriften seiner Religion eng. Und nicht jede afghanische Frau ist mit dem Tschador aufgewachsen – wohingegen manch ein Deutscher sehr eigene Essenswünsche hat.
Kann ein Altenpflegeheim auf all diese Besonderheiten Rücksicht nehmen, oder stört das den Betrieb? Die Frage kann nicht sein, ob die Beachtung aller unterschiedlichen Wünsche möglich ist, sondern wie, sagt Jeanette Oeser, Lehrerin für Pflegeberufe und gemeinsam mit ihrem Kollegen Karl van Engelen Leiterin von Kommit, dem internationalen Bildungszentrum Rhein-Main für Pflegeberufe.
Der Senioren Zeitschrift beantwortete sie einige Fragen zum Thema „Kultursensible Altenpflege“ und was diese von der Altenpflege allgemein unterscheidet.
SZ: Wo bestehen die Unterscheide zwischen der allgemeinen Altenpflege und der kultursensiblen Altenpflege?
Oeser: Eigentlich betont dieser Begriff etwas Besonderes, was keine Besonderheit darstellen sollte. Jeder alte Mensch sollte bedürfnis- und biografieorientiert professionell versorgt und gepflegt werden. Interkulturelle Aspekte in die Ausbildung zu integrieren und kulturspezifische Themen aufzugreifen, geschieht mit dem Ziel, die eigene Haltung gegenüber Fremdem zu reflektieren, eine Offenheit für Anderssein zu schaffen und Wissen über andere Kulturen zu erwerben.
Keinesfalls ist es damit getan, dass bestimmte stereotype Muster nach der jeweiligen Herkunftskultur befolgt werden. Zum Beispiel sind nicht alle Türken Muslime und es soll auch Muslime geben, die Schweinefleisch essen.
SZ: Sind nicht Pflegende mit dem gleichen kulturellen Hintergrund am besten für die Pflege von Migranten geeignet?
Oeser: In unserem Bildungszentrum haben rund 65 Prozent aller Auszubildenden einen Migrationshintergrund und selbstverständlich fließen deren Erfahrungen und Erlebnisse in den Unterricht ein. Aber die eigene Herkunft aus einer anderen Kultur bedeutet nicht automatisch, dass bereits interkulturelle Kompetenz vorhanden ist. Soziale Kompetenz gepaart mit Mehrsprachigkeit ist eine gute Voraussetzung für eine interkulturelle Kompetenz, aber der Begriff umfasst weit mehr.
SZ: Wie definieren Sie interkulturelle Kompetenz?
Oeser: Es geht darum, das, was anders oder auch fremd ist, nicht abzuwerten sondern es stehen lassen zu können, ohne es zu bewerten. In der Ausbildung sollen die angehenden Pflegekräfte dazu angeregt werden, ihre eigene Haltung zu reflektieren, wahrzunehmen, was eigen und was fremd ist, und lernen, sich Respekt und Toleranz als Haltung gegenüber Fremdem anzueignen. In diesem Sinne muss auch die deutsche Kultur Bestandteil der Ausbildung sein.
SZ: Warum?
Oeser: Auch Pflegende mit Migrationshintergrund müssen den adäquaten Umgang mit den pflegebedürftigen Menschen lernen, die in der deutschen Kultur zu Hause sind. Jeder, der alte Menschen pflegt, gleich welcher Herkunft, muss fähig sein, kulturelle Einflussfaktoren wahrzunehmen, sie zu respektieren und in die pflegerische Versorgung zu integrieren.
SZ: Wie sind bei Ihnen die interkulturellen Themen im Lehrplan integriert?
Oeser: Kulturspezifische Themen sind Querschnittsthemen. Von daher fließen sie in alle Bereiche der Hessischen Rahmenlehrpläne ein. Einen besonderen Schwerpunkt erfährt diese Unterrichtseinheit in einem Lernbereich, der die Unterstützung alter Menschen bei der Lebensgestaltung behandelt. Eine wichtige Grundlage für die Gestaltung des Unterrichts ist für uns das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegebene „Handbuch für eine kultursensible Altenpflegeausbildung“.
Die Fragen stellt Lieselotte Wendl
Wer sich für die Ausbildung bei Kommit in kultursensibler Altenpflege interessiert, kann sich an Jeanette Oeser wenden.
Kontakt:
Kommit
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