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Die Angehörigen schwer kranker Patienten müssten stärker unterstützt werden und die Kirchen sollten sich wieder mehr einer ihrer ureigenen Aufgaben widmen, nämlich der spirituellen Begleitung Sterbender. Dies fordert die Palliativmedizinerin Margarete Ruppert. Die 47-Jährige hat das Palliativ Care Team Nord-West aufgebaut und zuvor die Palliativstation am Krankenhaus Nordwest betreut.

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Dr. Margarete Ruppert

SZ: Frau Dr. Ruppert, ist in Frankfurt die flächendeckende Versorgung von Patienten mit lebensbegrenzenden Krankheiten durch spezialisierte ambulante Palliativteams gesichert oder gibt es lange Wartezeiten?

Margarete Ruppert: Wir sind im Raum Frankfurt sehr gut aufgestellt. Wenn es in einem der drei Teams einen Engpass gibt, leiten wir die Patienten zu einem anderen Team. Vielleicht haben wir noch nicht alle Patienten oder Hausärzte erreicht, aber es gibt immer mehr Anfragen von Patienten und unser Team wächst kontinuierlich.

SZ: Gibt es denn genügend Palliativmediziner und spezialisierte Pflegekräfte?

Ruppert: Mediziner gibt es sehr, sehr viele. Das Problem ist: Sie möchten sich zwar des Themas annehmen, aber sich nicht ausschließlich damit beschäftigen. In unserem Team arbeiten beispielsweise zwei Hausärzte mit, die Palliativmediziner sind, ihre Praxis haben und mit uns zwei oder drei Patienten betreuen.

SZ: Als die Palliative Care Teams vor zwei Jahren anfingen, wurden sie von vielen Hausärzten als Konkurrenz betrachtet. Wie ist das Verhältnis heute?

Ruppert: Es hat sich wesentlich gebessert. In den Anfängen waren die Hausärzte auch in Frankfurt teilweise unkooperativ. Auch heute noch ist das immer, wenn sich neue Palliativ Care Teams in neuen Regionen bilden, aus bisher unversorgten Gebieten zu hören. Inzwischen sind die Hausärzte im Frankfurter Raum dankbar, dass es uns gibt.

SZ: Ist den Hausärzten inzwischen auch bewusst, dass die Verordnungen für die spezialisierten ambulanten Palliativteams nicht ihr Budget belasten?

Ruppert: Das ist den Hausärzten  bewusst. Sie sehen sogar mittlerweile die Entlastung, weil wir ja auch die Ausstellung der Rezepte übernehmen. Wir verordnen zum Beispiel auch Schmerzpumpen, also komplexere Schmerztherapien, und betreuen das. Da sagen Hausärzte auch mal, dass das für ihre Praxis einfach zu aufwendig ist. Wir entlasten in vielerlei Hinsicht, vor allem in der nächtlichen Rufbereitschaft. Ich betone aber, dass wir als Palliativteam keinen Hausarzt ersetzen. Und keinen Pflegedienst. Wir sind eine Ergänzung.

SZ: Wie lange dauert ihr Einsatz?

Ruppert: Zwischen zwei und drei Monaten. Es gibt auch Patienten, die wir nur wenige Tage betreuen. Die Betreuungsdauer hat sich im Laufe der Jahre verkürzt. Das macht die Erfahrung.

SZ: Wie viele Patienten betreut Ihr Team im Jahr?

Ruppert: Im vergangenen Jahr waren es rund 300 Begleitungen. Wir besuchen die Patienten in der Regel ein oder zwei Mal in der Woche und versuchen, das im Gleichgewicht mit Pflege und Ärzten zu halten. Dazu kommen die Hausbesuche bei akuten Problemen rund um die Uhr.

SZ: Wie wird das Angebot angenommen, wächst das Vertrauen, das in dem schweren letzten Stadium die Betreuung zuhause klappt?

Ruppert: Es gibt Patienten, die früh den Kontakt zu uns suchen. Wir machen sie mit unserer Institution vertraut, sie kriegen unsere Handynummer und können unseren Einsatz jederzeit, wenn Probleme kommen, auslösen. Es gibt aber auch Patienten, die denken, wenn das Team kommt, bin ich morgen tot. Die schieben es dann zu weit raus. Kürzlich hatte ich einen Fall, wo es schade war, dass wir so spät gerufen wurden, weil es eine außerordentliche psychische Belastung gab. Die hätten wir zu einem früheren Zeitpunkt besser aufarbeiten können. Vieles, was in einem langen Leben erlebt wurde, muss aufgearbeitet werden, um in Frieden sterben zu können. Gerade bei der Kriegsgeneration kam es oft zu Traumatisierungen, die im Sterben nochmal Probleme machen können.

SZ: Wie nehmen Sie Abschied?

Ruppert: Wenn wir den Patienten sehr intensiv betreut haben, ist es schön, dass ich da sein kann, wenn er verstorben ist. Wir geben den Angehörigen auch Gelegenheit, uns zu besuchen. Das nehmen viele wahr, und wir führen mit ihnen ein Abschlussgespräch. Der Kontakt bleibt bestehen. Manche haben ein halbes oder ein Jahr nach dem Tod noch Fragen.

SZ: Wo sehen Sie Verbesserungsmöglichkeiten im System der palliativen Versorgung?

Ruppert: Die Angehörigen kommen zu kurz. Alles, was im Umfeld  passiert, ist zu wenig. Sie sind damit beschäftigt, zu bewältigen, dass ein enges Familienmitglied bald nicht mehr lebt. Gleichzeitig müssen sie sich um die intensive Versorgung kümmern. Ich bewundere, wie sie sich durch das alles  durchwurschteln. Das bürokratische Konstrukt müsste vereinfacht werden. Auch die Freistellung der Angehörigen von der Arbeit ist zu kompliziert. Das ist finanziell abgespeckt und nicht jeder kann es sich leisten, zuhause zu bleiben. Also man ist emotional mitgenommen, muss alles organisieren und auch noch gucken, wie man sein Leben finanziert. Das Spezialisierte ambulante Palliativteam nimmt Angehörige an die Hand, auch bei den Krankenkassen gibt es teilweise gute Ansprechpartner.

SZ: Die Stadt bietet ja auch das Hospiz- und Palliativtelefon zur Beratung Angehöriger.

Ruppert: Das finde ich toll. Es gibt allerdings Anschlussfinanzierungsprobleme, ich könnte mir vorstellen, dass die Krankenhäuser und die SAPV-Teams sich beteiligen, denn wir profitieren alle davon. Ein weiteres Thema, woran ich arbeite: Früher hat man, wenn jemand starb, einen Pfarrer gerufen. Heute muss man erst Mal einen zuständigen Seelsorger finden. Die Sterbebegleitung im häuslichen Umfeld muss von den Kirchen erst wieder als Aufgabe wahrgenommen werden.

Interview: Susanne Schmidt-Lüer