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SZ-Interview mit dem Nürnberger Psychologen Professor Dr. Wolf D. Oswald 

SZ: Herr Professor Oswald, wie verkraftet ein alter Mensch den Umzug in ein Pflegeheim?

Professor Wolf D. Oswald: Heutzutage wird der Umzug hinausgezögert,  bis es wirklich nicht mehr geht. Das bedeutet auf der psychischen Seite eine ganze Reihe von Problemen: Meist ist der Betroffene gar nicht mehr in der Lage, selbst zu entscheiden. Wenn aber andere über den künftigen Aufenthalt entscheiden, tut das immer weh, denn es ist ein Stück Unfreiheit. Dazu kommt der Verlust der gewohnten Umgebung.Ins Heim kann man ein Bild oder ein Schränkchen mitnehmen, aber das war es dann auch schon. Man  darf  die Belastungen nicht unterschätzen. Viele erleben das als eine gewisse Endzeit.Es ist auch einer der Gründe, warum der Psychopharmaka-Verbrauch in den Heimen viel höher liegt, als wir uns das alle wünschen.

SZ: Macht es denn einen großen Unterschied, ob der Umzug in ein Altenheim in die Nähe der Kinder führt oder nach Tschechien?

Oswald:Faktum ist, dass es rührige Angehörige gibt, die sich wöchentlich um ihre Verwandten kümmern. Wenndie Kinder aber nur an Weihnachten und zum Geburtstag für eine Stunde zu Besuch kommen, ist es egal, ob das Heim in Tschechien oder um die Ecke liegt. Das Problem bei Einrichtungen im Ausland ist in erster Linie ein Sprachproblem.Aber da brauchen wir gar nicht die Älteren nach Tschechien schicken…

SZ…meinen Sie, das Problem haben wir hier auch?

Oswald:Ja, wenn Sie beispielsweise an unsere türkischen Mitbürger denken, die ins Pflegeheim kommen und der deutschen Sprache kaum mächtig sind.

SZ: Spielt es beim Umzug in ein Pflegeheim eine Rolle, ob jemand eine Demenzerkrankung hat oder nicht?

Oswald: Menschen mit Demenzen merken  das sehr wohl. Wir können davon ausgehen, dass zwischen 60 und 80 Prozent der Bewohner im Pflegeheim eine Demenz haben. Aber die Pflegeversicherung zahlt nicht das Personal, das für eine aktivierende, fördernde Pflege notwendig ist.

SZ: Ist denn der Gang ins Ausland, den manche antreten, eine ernstzunehmende Alternative?

Oswald: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das im großen Stil kommt. Wenn jemand allerdings zu bestimmten Ländern schon früher eine Affinität hatte, kann ihm das ganz gut gefallen. Aber die Berichte im Fernsehen und in Zeitungen über Thailand und ähnliche Länder halte ich für etwas geschönt.

SZ: Weil das Vorzeigeeinrichtungen sind, während die Realität im übrigen Land eine ganz andere ist? 

Oswald: Es gibt ein paar Vorzeigeeinrichtungen unter deutscher Leitung. Aber ich halte es für sehr schwer,  in einer völlig anderen Sprache zu leben, wenn man das vorher nicht gewohnt war und nicht kommunizieren kann. Es heißt, dass man dort ganz anders bemuttert und versorgt wird als hier, aber da muss man Wirklichkeit und Wunschdenken trennen.

SZ: Auf jeden Fall ist also eine Aussage, ‚meine demente Mutterkriegt gar nicht mit, ob sie hier in Deutschland oder in Tschechien gepflegt wird‘, von der Hand zu weisen?

Oswald: Im Endstadium der Krankheit kriegt man natürlich nur noch wenig mit. Trotzdem sollten  Angehörige die Bande bis zuletzt aufrechterhalten. Man kann das jeden Tag beobachten: Drei Mal erkennt der Betreffende die eigene Tochter nicht. Aber beim vierten Besuch erkennt er sie seltsamerweise. Oft gibt es noch lichte Momente. Therapieansätze wie die Biografie-Arbeit knüpfen an frühere Erfahrungen an und das sind natürlich in erster Linie Erfahrungen in der eigenenFamilie. Da muss man nur ein paar alte Lieder summen und plötzlich summt diejenige, die vorher überhaupt kein Interesse zeigte, mit.

SZ: Umso wichtiger ist also die Nähe zu denen, die einem noch bleiben?

Oswald: Ich kann es auch andersherum sagen. Auch der Schwerstdemente braucht emotionale Nähe. Wenn sie von den eigenen Verwandten nicht kommt, müsste sie vom Pflegepersonal kommen. Aber das hat in der Regel nicht die Zeit.

Interview: Susanne Schmidt-Lüer

Professor Dr. Wolf D. Oswald (74) leitet die Forschungsgruppe Prävention & Demenz am Institut für Psychogerontologie an der Universität Erlangen-Nürnberg