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Der Seniorenbeirat der Stadt Frankfurt feiert sein 50. Jubiläum mit einem Fachtag am 30. Juni.

Pexels/ Andrea Piacquadio

Was bedeutet es heute, Senior:in zu sein? Diese wichtige Frage stellte sich die Stadt Frankfurt bereits 1973 und richtete den Seniorenbeirat als überparteiliches, überkonfessionelles und verbandsunabhängiges Gremium der Willensbildung und Beratung in allen Fragen rund um das Thema Älterwerden ein – übrigens als erste Stadt in Hessen! Ziel und Zweck des Seniorenbeirats war und ist es, den Magistrat in allen Fragen zu beraten, die Bedeutung für das Leben älterer Menschen haben, um so die Stadt aktiv mitzugestalten und an politischen Prozessen zu partizipieren.
Um dieses Jubiläum gebührend zu feiern, fand am 30. Juni ein nicht-öffentlicher Fachtag mit rund 100 Teilnehmenden statt, bei dem sich die Frankfurter Senior:innenbeirät:innen mit ihren Kolleg:innen aus anderen hessischen kommunen und Akteur:innen aus der Stadt austauschen und vernetzen konnten.

In Ihrem Grußwort hob Sozialdezernentin Elke Voitl die Bedeutung des Gremiums hervor: „Sie sind nach wie vor und immer mehr ein wichtiges Sprachrohr, um die Interessen der Älteren in die Politik und Verwaltung, aber auch zu den Bürgerinnen und Bürgern zu kommunizieren. Ihre Zielgruppe wächst und unser gemeinsames Ziel muss es sein, den Menschen auch im Alter ein selbstbestimmtes Leben in einer gut funktionierenden Gesellschaft zu ermöglichen“, sagte Elke Voitl: „Eine generationengerechte, altersfreundliche Stadt braucht ein gutes Miteinander und Teilhabe“, so die Sozialdezernentin. Außerdem sei ein differenzierter, anderer Blick auf das Alter nötig – auch hierbei könne der Seniorenbeirat helfen: „Sie haben in den vergangenen 50 Jahren viel gefordert und viel bewegt, darauf dürfen Sie zu Recht stolz sein!“. Als jüngstes Beispiel nannte sie die kürzlich online gegangene „Frankfurter Plattform 55plus“ (www.frankfurter-plattform-55plus.de), eine zentrale, dynamische Internet-Plattform, die auf die Initiative des Seniorenbeirats zurückgeht und Beratungs- und Bildungsangebote für ältere Menschen bündelt. Zudem machte sie weitere Themen aus, mit denen sich die Politik wie auch der Seniorenbeirat zukünftig weiterhin werde auseinandersetzen müssen und die auch bei den am Nachmittag des Fachtags stattfindenden Workshops im Zentrum standen: die Bekämpfung von Armut, die Zukunft der Pflege, Mobilität, das veränderte Selbstverständnis der Älteren, altersgerechte Wohnformen, Einsamkeit, Digitalisierung: „Mit all diesen Herausforderungen werden wir uns heute und in Zukunft beschäftigen und Sie werden heute Nachmittag dazu gemeinsame Antworten erarbeiten“, so die Stadträtin. Leider nähmen gerade ältere Menschen oftmals aus Scham nicht die Sozialleistungen in Anspruch, die ihnen eigentlich zustünden, so Voitl. Und dass, obwohl bei vielen, so wie jetzt durch die Inflation oder die gestiegenen Energiekosten die Rente nicht reiche. „Unser Anspruch muss sein, dass allen bis ins hohe Alter ein würdevolles Leben möglich ist“, betonte die Stadträtin.

Barbara Kahler, kooptiertes Mitglied im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e.V. (Bagso) unterstrich, dass gerade in einer dynamischen Stadtgesellschaft wie Frankfurt Altersthemen nicht immer attraktiv seien und wie wichtig daher die Scharnierfunktion des Seniorenbeirats sei, „Sie sind ein Bindeglied zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Politik und Verwaltung und müssen stets auf der Höhe der Zeit sein und sich weiterentwickeln, damit Sie die unterschiedlichen sozialen Gruppen innerhalb der Gruppe der Senioren abbilden können.“ Sie forderte mehr politische Partizipation, aber auch mehr Engagement der Senior:innen, die sie in der Mitverantwortung in der Gestaltung des politischen Prozesses sieht. „Alter ist oft so leise“, bedauerte Barbara Kahler, „das muss sich ändern, schließlich befinden wir uns mitten in einem gesellschaftlichen Transformationsprozess, in dem die Älteren die größte Gruppe stellen wird. Daher brauchen wir dringend eine Politik für und mit den Älteren!“

Franz-Josef Eichhorn von der Landesseniorenvertretung Hessen e.V. hob in seinem Grußwort ebenfalls die wachsende Bedeutung des Alters hervor und dass sich diese gesellschaftlich leider oft nicht widerspiegele.

Die Vorsitzende des Frankfurter Seniorenbeirats, Dr. Renate Sterzel, betonte, dass dies ein „stolzer Tag“ für den Seniorenbeirat sei und wie wichtig – vielleicht noch wichtiger als 1973 bei seiner Gründung unter dem damaligen Frankfurter OB Rudi Arndt (auch bekannt als Dynamit-Rudi) – bis heute dieses Ehrenamt sei. Der Seniorenbeirat habe in seiner 50-jährigen Geschichte eine Entwicklung vollzogen, die Seniorenbeirat Heinrich Trosch in seiner Chronik umfassend beschrieben und „sehr treffend“ unter den Titel „Vom Hilfsorgan zur Interessensvertretung“ gefasst habe.
„Wir haben einen Sitz und Rederecht in allen Stadtverordnetenausschüssen, wir tagen öffentlich, arbeiten in verschiedenen Gremien mit und repräsentieren die Interessen der Älteren“, zählte sie unter anderem die Aufgaben des Gremiums auf. Gleichzeitig hob sie hervor, dass sich die Interessen und das Selbstverständnis der Älteren diese sich im Laufe der fünf Jahrzehnte immer wieder gewandelt hätten: Heute 80-Jährige seien mit den Zielen der Studentenbewegung sozialisiert und könnten nicht mit 80-Jährigen von vor 30 Jahren verglichen werden. Auch habe sich die Gesellschaft stark verändert: Ältere Migrant:innen hätten zum Teil andere Bedarfe und Voraussetzungen als Bio-Deutsche, dies gelte es verstärkt in den Blick zu nehmen, so Dr. Sterzel, „und zuletzt hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass die Digitalisierung nicht nur Fluch ist, wie es manche Ältere bis dato dachten, sondern auch Segen. Denn über das Smartphone oder den Computer konnte man sich während des Lockdowns zumindest online verabreden.“ Sie freue sich auf die Herausforderungen der nächsten Zeit, so Renate Sterzel und forderte gleichzeitig, dass die Einrichtung von Seniorenbeiräten in die hessische Gemeindeverordnung verankert werden solle „warum ist das eigentlich nicht schon längst erfolgt“, fragte sie zum Abschluss.

Nach den Grußworten folgte zunächst der Vortrag von Professor Dr. Johannes Pantel, dem Leiter Arbeitsbereich Altersmedizin Institut Allgemeinmedizin an der Goethe-Uni. Er beschäftigte sich mit dem drohenden Generationenkonflikt und Altersdiskriminierung und stellte die Frage, was zu tun sei, damit die Solidarität nicht auf der Strecke bleibe. Grundlage seiner Ausführungen war sein jüngst im Herder Verlag erschienenes Buch „Der Kalte Krieg der Generationen – wie wir die Solidarität zwischen Jung und Alt erhalten“. „Es geht nicht um das Beziehungsgefüge innerhalb von Familien“, stellte Prof. Pantel, klar, denn das funktioniere heute teilweise besser als früher. Vielmehr untersuche er das „gesellschaftliche Generationenverhältnis“, das unter anderem durch die Rentenfrage, Fachkräftemangel, Klimakrise oder auch die Coronapandemie sehr belastet sei. „Hier ziehen trübe Wolken auf“, so Prof. Pantel. Zwar habe es Krisen immer schon gegeben, dennoch müssen man wegen des unaufhaltsamen demographischen Wandels sehr aufpassen, dass die „Ambivalenz im Generationenverhältnis“ nicht zu sehr wachse und in eine „Gerontophobie“ umschlage. Einige Anzeichen könne man bereits ausmachen, so Pantel. Unter anderem nannte er in diesem Zusammenhang auch die zunehmende Liberalisierungstendenz im Kontext der Sterbe- und Suizidbeihilfeproblematik und mahnte, diese „äußerst kritisch“ zu betrachten. Auch würden negative Altersbilder in der Medienberichterstattung („Vergreisung“, „Rentnerrepublik“, „Überalterung“) dazu führen, dass es zu einer Entsolidarisierung zwischen den Generationen kommen könne. Das sei insbesondere in Zeiten sich verknappender Ressourcen für chronisch kranke, pflegebedürftige, sozial isolierte oder auch von Demenz betroffene Menschen „gefährlich“. Um nicht in einer Dystopie zu enden, wolle er Wege eröffnen, denn: „noch ist der Zug nicht abgefahren“, zeigte sich Pantel überzeugt. Zunächst gelte es, die negativen Altersbilder und „gerontophobe Narrative“ in den politischen Debatten aufzudecken und zu korrigieren. Es geht um „Differenzierung statt Polarisierung“, so Prof. Pantel, „Vereinfachungen und Verzerrungen müssen hinterfragt und die zugrundeliegende Komplexität beachtet werden“. Zum Abschluss verwies er auf das „Netzwerk Alterbilder“ der Universität Konstanz, die in einem Positionenpapier sechs Impulse für vielfältigere Altersbilder präsentiert haben. Zudem betonte er, dass man die gemeinsamen Interessen der Generationen in den Blick nehmen solle. Insbesondere in den Bereichen Arbeitsmarktpolitik und Arbeitswelt, Klima, Bildung und Sozialpolitik seien sie größer als die Gegensätze. „Dieses soziale und polititsche Kapital gilt es zu heben!“, unterstrich Johannes Pantel am Ende seines Vortrags.

Direkt im Anschluss sprach Professor Dr. Frank Schulz-Nieswandt von der Universität zu Köln über „Das Altern der Zukunft“ und zeichnete „eine skeptische Vision zwischen Sozialraum, Teilhabe und Einsamkeit“. Er ging in seinem extrem dichten und mit viel Witz und philosophischen Anspielungen gespickten Vortrag auf die „many faces of age“ ein und nannte als Beispiele einerseits „die Kasernierung der Alten und deren einsames Sterben“ während der Corona-Pandemie, dem andererseits die „Vitaliserung achtsamer Nachbarschaften“ wenn nicht entgegen-, so doch gegenüberstehe. Lebensqualität und „gutes Leben“ würden bestimmt von Beziehungen, so Prof. Schulz-Nieswandt und fügte ein Zitat von Antoine de St. Exupéry an: „Das Individuum ist nichts anderes als der Knotenpunkt seiner sozialen Beziehungen“. Entsprechend habe der Mensch auch nur eine relative, also eine von Beziehungen abhängige Autonomie. „Wir müssen gemeinsam autonom sein“. Für das gelingende Leben bis ins hohe Alter seien „sorgende Netzwerke“ („Caring Communities“) buchstäblich überlebenswichtig, und dass man eine Rolle in der Gesellschaft spiele, sonst drohe der „soziale Tod“, der bereits lange vor dem biologischen Tod eintreffen könne und zwar immer dann, wenn man nicht mehr in sozialen Netzwerken mitwirke, der Mensch also sein „Sozialkapital“ nicht einbringen könne. „Was ist also das Individuum?“ fragte Professor Schulz-Nieswandt. „Es ist eine Geschichte die in mit Geschichten verstrickte Geschichten verstrickt ist. Lassen Sie das einmal sacken“, forderte er die Zuhörenden auf, „ein wunderbar treffendes Bild!“
Die fehlenden Beziehungen seien leider oftmals das Problem und seien der Grund dafür, dass die Älteren hierzulande also meist im Heim landeten, weil sie keine Netzwerke hätten. „Wir brauchen dringend ein neues Sozialraumverständnis“, forderte Prof. Schulz-Nieswandt. „Die Bindungsfrage ist die Schlüsselfrage!“ Mit einem weiteren Zitat verwies er auf den Sozialphilosophen und Psychoanalytiker Erich Fromm: „Wir könnten glücklich sein!“. Der Mensch als Konjunktiv. „Verglichen mit dem Rest der Welt haben wir es in Deutschland richtig gemütlich“, so Schulz-Niewandt. Paradoxerweise sähe man das hierzulande allerdings anders. Nicht nur das Selbstbild der Deutschen sei schlecht, auch bröckele die Demokratie, sobald der Wohlstand bröckele.
Als weitere Herausforderungen der Zukunft machte er die Verteilung von Vermögen aus und die zunehmende Urbanisierung, den Klimawandel und die Einwanderung aus. Dabei sei der Mensch schon immer „homo migrantus“ gewesen.
In den an die Vorträge anschließenden Workshops konnten sich die Teilnehmenden mit verschiedenen Fragestellungen zum „Altern der Zukunft“ intensiver auseinandersetzen.

Am 26. September feiert der Seniorenbeirat dann während der „Aktionswochen Älterwerden in Frankfurt“, die vom 18. September bis 1. Oktober stattfinden, gemeinsam mit den Frankfurter:innen und lädt sie zu einer ganztägigen Veranstaltung auf die „Wappen von Frankfurt“ der Primus Linie ein. Es gibt dann ein buntes Kulturprogramm, Infostände, eine Bürger:innensprechstunde mit der Sozialdezernentin Elke Voitl sowie Rundfahrten auf dem Main.
Weitere Informationen zum 50. Jubiläum sowie zu den Aktionswochen Älterwerden in Frankfurt: www.frankfurt.de/aelterwerden

Julia Söhngen